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„Museum kann ein Ort sein, der Heimat definiert“

„Museum kann ein Ort sein, der Heimat definiert“

  • Autorin:
    Sepideh Honarbacht

  • Titelmotiv: Dr. Felix Krämer, Direktor und künstlerischer Leiter der Stiftung Museum Kunstpalast. Foto: Anne Domday/Museum Kunstpalast

Felix Krämer heißt Besucherinnen und Besucher am Eingang seines professionellen Zuhauses willkommen – dem Museum Kunstpalast in Düsseldorf. 

Wozu noch ins Museum gehen, wenn wir mit der VR-Brille sogar in die Vergangenheit reisen und dem Künstler beim Malen über die Schulter schauen könnten? Dr. Felix Krämer, Generaldirektor und künstlerischer Leiter des Kunstpalasts in Düsseldorf, kennt gute Gründe.
Das Museum Kunstpalast in Düsseldorf gehört seit Langem zu meinen Lieblingsorten. Der markante Backsteinbau steht in meiner Heimatstadt, nahe am Rheinufer. Als Kind unternahm ich mit meinen Eltern oft Wochenendausflüge dorthin. Ich liebte es, die Bilder an den Wänden zu betrachten und mir Geschichten auszudenken – schöne und schaurige, lange bevor ich etwas über die Künstler oder Epochen wusste. 2023 öffnete der Kunstpalast nach dreijähriger Sanierung wieder seine Türen – mit neu präsentierter Sammlung, klugen Angeboten für Kinder und Erwachsene und Ausstellungen, die Besucher aus ganz Deutschland und dem Ausland anziehen. Mit Dr. Felix Krämer, seit 2017 Generaldirektor der Stiftung Museum Kunstpalast und verantwortlich für Umbau und Konzept, sprach ich über die Zukunft der Museen.

Sepideh Honarbacht: Was bedeutet ein Museum in einer Welt, in der digitale Erlebnisse und virtuelle Realitäten immer wichtiger werden?
Felix Krämer:
Der Begriff „Museum“ ist weit gefasst. (Auf meinen Füller zeigend, mit dem ich mir während des Gesprächs Notizen mache) Wenn Sie viele Füllfederhalter zu Hause hätten, könnten Sie sich „Museum“ ans Klingelschild schreiben. Der Begriff ist nicht geschützt. Es gibt jedoch eine Definition des International Council of Museums (ICOM), die 2022 zuletzt überarbeitet wurde. Früher sammelten, bewahrten und erforschten Museen. Später kam das Ausstellen hinzu. Heute sind wir auch ein aktiver gesellschaftlicher Akteur. Der Druck auf Museen ist in den letzten Jahrzehnten enorm gestiegen, und ich spüre, dass sich gerade wieder viel bewegt.

Woran liegt das?
Die öffentlichen Mittel sind begrenzt, und die Politik muss genau abwägen, wie sie sie einsetzt. Kultur steht dabei oft im Fokus von Kürzungen, auch wenn man mit ihr keinen Haushalt sanieren kann. Kultur hat keine starke Lobby – das ist der entscheidende Punkt. Umso wichtiger ist es, als Museum relevant zu bleiben.

Im Sommer nutzt der Kunstpalast den Außenbereich im Ehrenhof auch für Musik-Events und Videoinstallationen. Foto: Sabrina Rothe/Museum Kunstpalast


Gibt es also einen Wettbewerb zwischen den Museen?
Nicht im klassischen Sinn wie in der Wirtschaft, aber es gibt eine Art Aufmerksamkeitsökonomie. Wir sprechen alle dasselbe Publikum an, das nicht wächst und nur begrenzt Zeit hat. Vor zehn oder 15 Jahren hätten wir mehr über Museen als Bildungsorte und Forschungsstätten gesprochen. Diese Aufgaben sind zentral für unser Selbstverständnis und die öffentlichen Mittel, die wir erhalten. Gleichzeitig sind wir Teil der Unterhaltungsindustrie.

Man könnte Bildung und Unterhaltung als Gegensätze sehen, aber ich glaube, Bildung funktioniert besser, wenn sie Freude macht. Leider ist das noch nicht überall angekommen. Der erhobene Zeigefinger ist immer noch präsent – und das ist kontraproduktiv. Um zukunftsfähig zu bleiben, müssen wir Bildung mit Unterhaltung und Freude verbinden. Kunst soll Spaß machen, davon bin ich überzeugt. Dafür probieren wir verschiedene Formate aus.

Eines meiner ersten Projekte hier war eine eigene Website für Kinder. Wenn ein Museum online nur Angebote für Erwachsene zeigt, fühlt sich ein achtjähriges Kind nicht angesprochen – und das zu Recht.

Sie haben den Illustrator Christoph Niemann immersive Räume mit optischen Täuschungen für Kinder gestalten lassen, in denen ich auch viele Erwachsene gesehen habe.
Das war so geplant. Kinder sind ein guter Maßstab für Dinge, die Spaß machen sollen – sie funktionieren oft auch für Erwachsene. Das sieht man an den immersiven Konzepten des japanischen Künstlerkollektivs teamLab, wie im Moco Museum in Barcelona. Sie richten sich an Erwachsene, die sich eine kindliche Freude bewahrt haben.

Der Künstler und Illustrator Christoph Niemann hat fünf Räume für Kinder gestaltet – die längst nicht nur die Kleinen anziehen. Auch dieses eschereske Trompe-l’œil am Ausgang der ständigen Sammlung stammt von ihm. Foto: Sepideh Honarbacht

Welche Bedeutung hat der physische Ort in Zeiten der Digitalisierung? Hat die Pandemie das Bedürfnis nach realen Orten verstärkt?
Ja, das hat sie. Menschen brauchen Orte für Begegnungen und Austausch. Deshalb mache ich mir um die Zukunft der Museen keine Sorgen. KI und digitale Möglichkeiten werden zwar neue Erfahrungen bieten, doch es bleibt ein Unterschied, ob wir uns persönlich treffen oder virtuell. Das gilt im Geschäftsleben ebenso wie beim Spiel. Wir atmen dieselbe Luft und nehmen einander wahr. Das trifft auch auf Museen zu. Sie sind Orte, die wir freiwillig besuchen. Der Eintrittspreis ist keine große Hürde.

Ein niedrigerer Eintrittspreis bringt nicht mehr Besucher?
Nein, das Angebot muss attraktiv sein. Dann kommen die Interessierten. Das sieht man bei Fußballspielen und Konzerten, wo Tickets bis zu 250 Euro kosten und trotzdem gekauft werden. Auch teure Institutionen wie Moco oder teamLab ziehen Besucher an. Öffentliche Museen könnten sich davon eine Scheibe abschneiden. Niedrigere Eintrittspreise bringen nicht mehr Besucher, sondern verringern die Mittel, um das Angebot attraktiv zu gestalten.

Einige verweisen auf Großbritannien, wo Sammlungen mit freiem Eintritt locken. Könnte das für Museen in Deutschland ein Vorbild sein.
Das Konzept ist meiner Meinung nach nicht nachhaltig und nicht auf uns übertragbar. London hat andere Bedingungen mit vielen Touristen. Sonderausstellungen dort sind teurer als bei uns, etwa 25 £ pro Person, und werden kaum nachgefragt. Die Museen dort müssen große Namen wie van Gogh zeigen, um Besucher anzulocken. Die Häuser sind dann voll mit Touristen, die durch die Sammlungen hetzen und vor allem Kosten verursachen.

Wie würden Sie den Kunstpalast ohne Sammlung gestalten?
Ohne Sammlung wären wir eine Kunsthalle, ein ganz anderer Ort. Die Sammlung bestimmt unser Handeln. Wäre ich woanders Direktor, würde ich keine Autoausstellung machen oder mit Claudia Schiffer arbeiten. Aber in Düsseldorf am Kunstpalast gibt die Sammlung den Ton an. Viele denken, ein Museumsdirektor, der eine Autoausstellung macht, muss ein Autonarr sein. Das ist ein Missverständnis. Mein Job ist es, ein passendes Programm für diesen Ort zu gestalten.

Und das zieht mehr Besucher an, die sich auch die Sammlung ansehen?
Ja, das lässt sich messen. Projekte, die nicht jedem gefallen, ziehen neue Besucher an. Es ist wichtig, nicht allen gefallen zu wollen, sonst landet man bei faden Kompromissen. Eine Ausstellung wie „Tod und Teufel – Faszination des Horrors“ interessiert nicht jeden. Unsere nächste große Ausstellung „Mama – von Maria bis Merkel“ weckt bei Frauen großes Interesse, während Männer oft klischeehaft reagieren, wenn ich ihnen davon erzähle.

Aber wir haben alle eine Mutter, auch wenn nicht jede Frau Mutter ist.
Nicht jede ist Mama, aber ich habe noch keine Frau getroffen, für die das nicht irgendwann in der Biografie mal ein Thema war. Da gab es mal eine Entscheidung oder zumindest eine Beschäftigung mit der Mutterschaft. Und insofern haben wir auch ganz bewusst Angela Merkel mit aufgenommen, die ja keine Kinder hat

Aber Mutti genannt wurde.
So ist es. Solche Geschichten eröffnen neue Perspektiven. Wir überlegen, welche Bilder im Kopf entstehen und was das für die Programmgestaltung bedeutet.

Wo finden Sie Ihre Themen?
Themen finde ich im Alltag, nicht im Elfenbeinturm. Das war früher anders, man dachte von der Sammlung aus. Man machte etwa an eine Ausstellung zum italienischen Barock, wenn man ein Konvolut von Werken aus dieser Zeit im Bestand hatte. Aber was hat das mit uns zu tun, wenn ich keine Brücke zur Gegenwart schlage?

Zum Jetzt, zum Heute?
Zu uns beiden. Ohne Bezug zur Gegenwart wäre die Ausstellung vielleicht interessant, aber die Wahrscheinlichkeit, dass Sie sie sehen wollen, ist gering.

Gerhard Richter studierte an der renommierten Kunstakademie Düsseldorf. Sein Wandbild „Pin Up“ schmückt die Wand der rekonstruierten Künstlerkneipe Creamcheese im Kunstpalast. Foto: Bernd Jansen / Museum Kunstpalast

Während viele Freundesvereine Mitglieder verlieren, hat der Kunstpalast in Düsseldorf seine Mitgliederzahl in sieben Jahren auf über 5.000 verfünffacht. Fast 20 Prozent sind junge Menschen zwischen 18 und 30. Was machen Sie anders?
Dieser Zuspruch der lokalen Bevölkerung ist das schönste Kompliment, das wir erhalten können. Wir beziehen Stellung und provozieren – das funktioniert in Düsseldorf. Unser Programm ist einzigartig und nicht übertragbar. Die Frankfurter Gesellschaft tickt anders. Dort fragt man nach Thesen und Inhalten. Adorno. Können Sie sich Adorno in Düsseldorf vorstellen?

Nein. Aber was unterscheidet Düsseldorf konkret von Frankfurt?
Das Publikum hier ist überdurchschnittlich kunstinteressiert, es ist auch überdurchschnittlich viel Wissen schon vorhanden. Ich hole es an einem anderen Punkt ab. In Düsseldorf wollen wir unterhalten werden. Statistisch gesehen leben wir hier in den kleinsten Wohnungen unter den Großstädten, haben wenig Wohnfläche. Doch wir geben am meisten Geld für Freizeit aus, Museen eingeschlossen. Vor allem investieren wir in Essen und Trinken. Der Düsseldorfer geht oft aus. Wir möchten eine gute Zeit haben, und diesem Bedürfnis kommen wir im Kunstpalast nach.

Gibt es also mehr Leichtigkeit?
Ja, definitiv. Gespräche entstehen schneller. Ich bin gerne hier und möchte, dass unser Museum den Ort widerspiegelt. Das Lokale wird auch für die Zukunft immer wichtiger. Während die Globalisierung voranschreitet und wir ständig mitbekommen, was in London oder New York passiert, bleibt die lokale Verwurzelung wichtig. Ein Museum kann Heimat und Zugehörigkeit definieren. Unsere Sammlung mag kunsthistorisch weniger bedeutend sein als andere. Wir haben weder Bilder von Van Gogh oder Monet wie das Musée d‘Orsay, noch Werke von Rembrandt und Vermeer wie das Rijksmuseum in Amsterdam.

Wie gehen Sie mit dem Mangel an sogenannten Blue Chips um?
Wir sind eher eine Wunderkammer, die mit Überraschungen fasziniert. Storytelling und Aufenthaltsqualität sind uns wichtig. Besucher sollen sich wohlfühlen, nicht bevormundet, und Neues entdecken können, ohne Kunstgeschichte studiert zu haben. Diese Prinzipien leiten unsere Konzeption. Wir betrachten uns von außen und erhalten viel positives Feedback.

Sie gestalten Ihre Ausstellungen oft anders als andere, Sie laden zum Beispiel Florian Illies oder Claudia Schiffer ein, zu kuratieren. Warum tun Sie das und welche Erfahrung machen Sie damit?
Florian hat Kunstgeschichte studiert und bereits kuratiert, wenn auch nur zwei kleine Ausstellungen. Er genießt als Autor im Feuilleton großes Ansehen. Bei Claudia Schiffer ist es anders. Wir planten eine Ausstellung zur Modefotografie der 90er, da das Interesse an dieser Dekade wächst. Nach 30 Jahren kehrt das Interesse zurück, ein bekannter Rhythmus. Ich dachte: Warum nicht jemanden zu Wort kommen lassen, der dabei war – und eine Verbindung zu Düsseldorf hat?

Claudia Schiffer kommt aus Rheinberg, wurde aber hier entdeckt.
Richtig. Ich habe über die Modewelt in den 90ern gelesen, habe aber nicht mit Karl Lagerfeld gearbeitet oder den Druck der Paparazzi erlebt. Claudia kann aus erster Hand berichten und weiß, wie Fotografen arbeiteten. Claudia brachte ihr Wissen und ihre Erfahrung ein, besonders zur Modefotografie. Wir beherrschen das kuratorische Handwerk. Die Zusammenarbeit mit ihr hat unsere Reichweite erweitert. Wir haben Menschen angesprochen, die Claudia schätzen, aber nie den Kunstpalast besucht hätten. Manche fragten sogar, wie man sich für einen Museumsbesuch angemessen kleidet.

Glauben Sie, dass mehr Diversität in Museumsteams die Zukunft ist? Weniger Kunsthistoriker, mehr Bühnenbildner, Drehbuchautoren, Kommunikatoren?
Das muss man differenziert betrachten. Ein promovierter Kunsthistoriker ist wertvoll, muss aber nicht jede Ausstellung kuratieren. Kuratieren folgt Regeln, die man erlernen kann. Es gibt leider sehr viele Ausstellungen, die wirklich nicht gut gemacht sind und dem Publikum viel Geduld und Mühe abverlangen. Deshalb ist es keine gute Idee, den Job einfach Menschen zu überlassen, die keine Erfahrung haben. Wir würden auch nicht den Flugkapitän austauschen und sagen, wir fliegen jetzt alle zusammen. In Leipzig befragte man das Publikum, welche Ausstellung es wünscht. Wissen Sie, was herauskam? Picasso. Das ist nicht weiter überraschend. Wenn man mich zu Konzepten für Fluggesellschaften befragen würde, käme ich auch nur auf banale Antworten.

Einen Bereich im Kunstpalast haben die „Palast Pilot:nnen“ kuratiert – Bürgerinnen und Bürger Düsseldorfs ohne beruflichen Bezug zur Kunst. Foto: Sepideh Honarbacht

Und dennoch haben Sie für die Neupräsentation der Sammlung im neuen Kunstpalast zehn Palast-Pilot:innen einbezogen, Düsseldorferinnen und Düsseldorfer, die professionell nichts mit Kunst zu tun hatten. Sie durften im 1. Obergeschoss einen eigenen Raum mit ihren Favoriten aus der Sammlung gestalten.
Das war uns sehr wichtig. Für die Palast-Pilot:innenen haben wir über Social Media eine Ausschreibung gestartet und am Ende über 1.000 Bewerbungen erhalten. In einer Stadt wie Düsseldorf ist das beachtlich. Wir haben die Bewerberinnen und Bewerber zur Mitarbeit eingeladen, und besonders interessant waren jene, die bisher kein Interesse an Museen hatten. Ich wollte keine Kunsthistorikerinnen, sondern den Blick von außen auf unser Haus. Heute könnten wir mit den Palast-Pilot:innen nicht mehr arbeiten, weil sie inzwischen zu viel wissen.

Kann man zu viel wissen?
Ja. Am Anfang war die Gruppe sehr heterogen. Der eine hatte ein klassisches Bild vom Museum, wie die Eremitage, die andere sah das Museum eher als diskursive Plattform. Wir haben bewusst auf Vielfalt geachtet – bezogen auf Alter, Herkunft und Perspektive. So entstand eine Gruppe, deren Mitglieder sich im Alltag wohl nie begegnet wären. Daraus sind sogar Freundschaften entstanden. Einige treffen sich noch heute, wie gestern bei einem Palast-Pilot:innen-Treffen. Es ist zudem großartig zu sehen, wie sie sich mit dem Haus identifizieren.

Was das Engagement ehrenamtlich?
Nein. Wichtig war uns, sie zu bezahlen. Wenn ich eine Leistung erwarte, kann ich nicht nur um einen Gefallen bitten. Soll das Engagement über Jahre gehen und meine Wertschätzung zeigen, braucht es einen Vertrag und eine angemessene Vergütung. Gerade bei Themen wie Diversität ist das entscheidend. Eine Schülerin, die sonst mit Babysitten ihr Taschengeld aufbessert, wird sich nur engagieren, wenn sie dafür mindestens den gleichen Lohn erhält. Statt Babysitten arbeitet sie dann für den Kunstpalast. Deshalb haben wir uns an den Sitzungsgeldern der Politik orientiert.

Wir führen das Konzept jetzt für die Neugestaltung NRW-Forum, das ja zu uns gehört, weiter: Mit sieben NeFos – das ist die Abkürzung für NRW-Forum Frieds. Sie unterstützen uns dabei, Ideen für die Zukunft des NRW-Forums zu gestalten.

Woher nehmen Sie Ihre Inspiration? Abseits von anderen Museen oder Kuratoren – was treibt Sie an? Besonders, da Sie den Anspruch haben, Dinge anders zu machen als andere Museen.
Diesen Anspruch habe ich gar nicht so sehr. Es geht mir nicht darum, anders zu sein, nur um des Andersseins willen. Ich will Dinge gut machen, so gut wie möglich. Wenn das bedeutet, dass wir etwas anders machen als andere, dann ist das eben so. Entscheidend ist, offen zu bleiben, neu zu denken und Fehler einzugestehen. Wenn etwas nicht funktioniert, analysiere ich: Lag es an der Idee, an der Kommunikation oder an etwas anderem?

Meine Inspiration entspringt weniger einem Bedürfnis nach Selbstverwirklichung – das kann ich zu Hause tun, nicht im Job. Meine erste Ausstellung als freier Kurator in der Hamburger Kunsthalle war über Vilhelm Hammershøi, einen dänischen Künstler, den damals in Deutschland kaum jemand kannte. Ich hatte meine Magisterarbeit über ihn geschrieben und dachte: „Du hast Wissen, das andere nicht haben. Vielleicht kannst du daraus eine Ausstellung machen.“ Es hat geklappt.

Auch meine zweite Ausstellung an der Hamburger Kunsthalle war erfolgreich. Die Erwartung war, dass ich wieder ein skandinavisches Thema aufgreife, schließlich kannte ich mich damit aus. Aber ich wusste: Wenn ich mit Künstlern wie Helene Schjerfbeck oder Peder Sverin Krøyer komme, würden sie sagen: „Skandinavien hatten wir gerade. Komm in ein paar Jahren wieder.“ Ich wollte nicht der „Skandinavien-Onkel“ werden.

Wie sind Sie es dann angegangen?
Ich habe geschaut: Was hat die Kunsthalle im Bestand? Was interessiert die Öffentlichkeit? Was ist finanziell machbar und wissenschaftlich spannend? So entstand – gemeinsam mit einem Kollegen – die Ausstellung „Seestücke“ über maritime Malerei. Damals ein Thema, das viele Kunsthistoriker nur zögerlich anfassten. Doch das Publikum liebt Bilder von Strand und Meer, eines der populärsten Motive überhaupt. Auch kunsthistorisch war das Thema relevant. Der Direktor der Kunsthalle unterstützte das Projekt, obwohl es Widerstand von Kollegen gab.

Ein Ausflug ins Wunderland – im Kunstpalast kann man leicht einen ganzen Tag verbringen. Foto: Sepideh Honarbacht

2024 haben Sie eine Ausstellung unter dem Titel „Tod und Teufel – Die Faszination des Horrors“ im Kunstpalast inszeniert. Manche in der Szene rümpfen die Nase darüber. Wie sind Sie auf das Thema gekommen?
Das Konzept entstand aus der Beobachtung, dass Horror und Thriller die erfolgreichsten Genres bei Streamingdiensten sind. In Buchhandlungen dominieren Krimis und Horrorromane große Teile des Angebots. Diese Themen faszinieren Menschen – auch in der Kunst. Doch wie viele Museen greifen das auf? Dass wir mit so einer Ausstellung 100.000 Besucher hatten, überrascht mich nicht.

Eine mit Hilfe von Robotern geschaffene Arbeit des Mathematikers Alan Turing erzielte im Londoner Auktionshaus Sotheby‘s Ende 2024 einen Preis von rund 1,2 Millionen Euro. Können Sie sich vorstellen, dass in zehn, 50 oder 100 Jahren viele KI-generierte Werke im Kunstpalast zu sehen sein werden?
Ja, ich denke, diese technische Entwicklung wird sich fortsetzen.

Und sind KI-generierte Arbeiten für Sie auch Kunst?
Ja, mit dem Begriff habe ich überhaupt keine Probleme. Wenn Sie sagen, Ihre Brille sei Kunst, werde ich Ihnen das nicht ausreden.

Auf Instagram fotografieren Sie Menschen vor Kunstwerken. Lauschen Sie ihnen manchmal im Museum?
Oh ja, das mache ich und lerne sehr viel. Wenn ich mich nicht für die Besucherinnen und Besucher interessieren würde, müsste ich mir wohl einen anderen Job suchen. Wir machen das schließlich für Menschen, nicht für uns selbst. Es ist kein Selbstzweck, und wir arbeiten mit öffentlichen Geldern. Das verpflichtet uns gegenüber dem Publikum. Wenn ich Ausstellungen organisiere und das Haus bleibt leer, mache ich etwas falsch.

Welchen gesellschaftlichen Auftrag haben Museen?
Ich bin überzeugt, dass eine Gesellschaft, die ihre Vergangenheit kennt, lebenswerter ist. Und Kunst – in jeder Form – bereichert das Leben. Natürlich ist mein Job auch Management: Es geht um Geld, um Entscheidungen mit Folgen. Aber es ist mehr als das. Es geht nicht um Selbstverwirklichung, sondern um etwas Größeres.

Apropos Größeres: Wenn Sie eine Nacht in einem Museum verbringen könnten, welches wäre es? Und was würden Sie dort tun?
Wahrscheinlich schlafen (lacht). Wir hatten hier tatsächlich mal ein Gewinnspiel, bei dem man im Museum übernachten konnte. Vermutlich würde ich ein Museum wie die Glyptoteket oder Ordrupgaard in Dänemark wählen, wo Werke von Vilhelm Hammershøi ausgestellt sind. Mit diesem Künstler habe ich mich über Jahre intensiv beschäftigt. Eine Nacht mit seinen Werken – das wäre etwas Besonderes. Aber ehrlich gesagt schläft es sich zu Hause besser.

 

Take-away für die kreative Arbeit

1. Bleib neugierig und offen. Wage es, neue Wege zu gehen.

2. Hör den Menschen zu, die du erreichen und überzeugen willst.

3. Stell Teams zusammen, deren Fähigkeiten sich ergänzen.

4. Beobachte aufmerksam gesellschaftliche Trends – auch abseits der Hochkultur.

5. Behalte die lokalen Bedürfnisse und Gegebenheiten im Blick.

6. Finde Themen, die hier und jetzt für die Menschen wichtig sind.

7. Selbstverwirklichung allein genügt nicht. Verlier das höhere Ziel nicht aus den Augen.

Felix Krämer beobachtet gern Menschen in Museen. Die Schnappschüsse der Besucherinnen und Besucher vor den Kunstwerken sind auf seinem Instagram-Kanal zu sehen. Foto: Andres Endermann/Museum Kunstpalast

 Zur Person

Der demokratische Direktor
Felix Krämer, geboren 1971, leitet seit Oktober 2017 den Kunstpalast in Düsseldorf als Generaldirektor und künstlerischer Leiter. Zudem steht er dem Vorstand der Stiftung Museum Kunstpalast vor. Er fotografiert Besucherinnen und Besucher von Museen nicht nur für seinen Instagram-Kanal, vielmehr hört er ihnen zu und hat sie sogar eingeladen, einen Teil der Sammlungspräsentation mitzugestalten.

Der promovierte Kunsthistoriker führte die Abteilung Kunst der Moderne im Städel Museum in Frankfurt am Main. Zwischen 2004 und 2008 arbeitete er in verschiedenen Rollen an der Hamburger Kunsthalle und als Kurator an der Royal Academy of Arts in London. Er organisierte bedeutende Ausstellungen in London, Paris, Rom, Tokio und Melbourne. Unter seiner Führung erreichte der Kunstpalast 2024 mit mehr als 500.000 Besuchern einen Rekord. Erfolgreiche Ausstellungen seit der Wiedereröffnung im November 2023, wie „Tony Cragg. Please touch! “ (125.000 Besucher), „Gerhard Richter. Verborgene Schätze“ (über 200.000 Besucher) und „Palastblühen“ (25.000 Besucher in neun Tagen), festigten den Ruf des Kunstpalasts als eines der führenden Museen Deutschlands. Die Sanierung des 5.000 Quadratmeter großen Sammlungsflügels dauerte von 2020 bis 2023 und kostete rund 50 Millionen Euro.

Sie fühlt sich ganz zuhause im Kunstpalast: “Das schlafende Mädchen” –  eine Skulptur von Hans Op de Beeck. Foto: Sepideh Honarbacht

Steckbrief
Museum Kunstpalast

Gegründet: 1902
Zuletzt umgebaut: 2023
Fläche: Sammlung ca 6.500 qm (inklusive Glassammlung), wechselnde Ausstellungen ca. 2.000 qm
Besucherinnen und Besucher: 500.000 (2024)
Meistbesuchte Ausstellung: Bonjour Russland (2007/2008) mit 256.000 Besucherinnen und Besuchern

Programm und Ausstellungen
https://www.kunstpalast.de

Vermeers Mädchen und ihr Versprechen

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